Icon

Orgelpredigt

Start → Register → Predigten → E000035: Musicalische Orgel= Lob= und Ehren=Predigt (s.l. 1751)

a Musicalische Orgel= Lob= und Ehren=Predigt (s.l. 1751)

Einführung in die Edition

Historischer Hintergrund

Coelestin Harsts La OrgelpredigtMusicalische Orgel= Lob= und Ehren=Predigt (s.l. 1751) M Musicalische Orgel= Lob= und Ehren=Predigt ist derzeit die einzige bekannte katholische Orgelpredigt. Ihr Autor war am Ende seiner beruflichen Laufbahn nicht nur Prior der Le Geographicumf Ort: Ebersmünster Benediktiner-Abtei Ebersmünster, sondern wirkte auch als Cembalovirtuose und Komponist.[1] Gut bekannt ist auch Harsts Tätigkeit als Organist und Orgelexperte. Eine wichtige Quelle bildet hier das Archiv Lb PersonSilbermann, Johann Andreas (1712–1783) Johann Andreas Silbermanns, in dem unter anderem zehn Briefe Harsts an den Orgelbauer aus den Jahren 1741–1768 überliefert sind.[2]

Die Bekanntschaft zwischen Harst und der Familie Silbermann datierte spätestens aus dem Jahr 1730, als in Ebersmünster eine Ld OrgelEbersmünster, St. Mauritius, Andreas-Silbermann-Orgel 1732 Orgel von Lb PersonSilbermann, Andreas (1678–1734) Andreas Silbermann und dessen damals 18-jährigem Sohn Lb PersonSilbermann, Johann Andreas (1712–1783) Johann Andreas errichtet wurde.[3] Zu dem letzteren entwickelte sich allmählich ein freundschaftliches Verhältnis. Der junge Orgelbauer schildert selbst, wie sich 1735 ein näherer Kontakt anbahnte, als Harst die neue Ld OrgelBenfeld, Katholische Kirche, Merckel-Orgel 1735 Orgel zu Benfeld begutachten sollte:

Zum Examine wurde Herr Pater Coelestin Harst aus der Abtey Ebers Münster beruffen. Etwan 8 Tag vor dem Examen kam dieser Herr zu mir, und fragte mich wie die Windlade und Bälge zu probiren wären, ich hatte eben ein Buffet d’Orgue fertig, daran zeigte ich ihme wie die Windladen und Bälge zu probiren sind, er ersuchte mich, ihme meine Wind Probe mit zu geben, und sagte: Ich habe im Sinn diesen Pfuscher nicht zu schonen, damit ich bey dieser Affaire ein gut Gewissen behalten kan, und daß man rechtschaffene Künstler von denen Pfuschern zu unterscheiden lernet.[4]

Von diesem Zeitpunkt an entspann sich zwischen beiden ein intensiver Kontakt. Harst war immer bemüht, Silbermann als Orgelbauer für die von ihm betreuten Projekte zu gewinnen. Silbermann erhielt seinerseits von Harst manchen Einblick in die Intrigen hinter den Kulissen, die sich bei den Orgelabnahmen abspielten, und ließ sich über jedes neue Instrument ausführlich berichten. Immer wieder kreuzten sich die Wege, man traf sich zum Mittagessen in einem Kloster und ging die dortige Orgel durch oder tauschte Tulpenzwiebeln aus.[5] 1768 kühlt sich die Freundschaft allerdings ab, weil Silbermann auf Harsts Versuch, ihn für den Bau einer Orgel in Le Geographicumf Ort: Lautenbach (Oberelsass) Lautenbach zu gewinnen, nicht einging, ja noch nicht einmal Harsts eindringlich geschriebenen Bittbrief beantwortete.[6] Erst 1773 kam es nochmals zu einem Treffen, das Silbermann folgendermaßen schildert:

Als eben damals Herr Pater Coelestin auf mein Begehren von den Herrn verlangt worden, die ausgeputzte Ld OrgelMarbach, Augustinerstift, Johann Andreas Silbermann-Orgel 1739 Marbacher Orgel zu sehen, so bin ihme über den Berg entgegen gegangen. Er war aber anfangs sehr indifferent gegen mir weilen es ihn verdroßen daß ich auf den den 9. December 1768. an mich geschriebenen Brieff ihme den Gefallen nicht habe thun wollen die Lautenbacher Orgel anzunehmen, indem er dem Capitel daselbst die Versicherung gethan hatte, daß ich es ihme gewis zu Gefallen thun würde.[7]

In ihrer Gesamtheit geben die Kommentare Silbermanns und die Briefe Harsts detailliert Einblick in die Vorgänge, die sich von der Planung bis zur Abnahme einer neuen Orgel abspielten. Als Bewunderer der Silbermannschen Orgelbaukunst, die ihm als Maß für seine Beurteilungen diente,[8] empfahl Harst immer wieder dessen Werkstatt. Silbermann jedoch war vielen Auftraggebern zu teuer[9] oder brauchte zu lange zur Ausführung seiner Arbeit, so dass man gegen Harsts Wunsch und Rat hin lieber weniger ambitionierte Orgelbauer einschaltete.

Die Orgel, bei deren Weihe Harst seine Orgelpredigt hielt, gehört zu den kleineren Arbeiten Silbermanns.[10] Das Le Geographicumg Gebäude: Kaysersberg, Benediktinerkloster Alspach Klarissenkloster Alspach wurde um 1140 als Benediktinerkloster errichtet und 1282 oder 1283 von Klarissen aus Le Geographicumf Ort: Kientzheim Kientzheim übernommen.[11] Offenbar auf die Initiative der tatkräftigen Lb PersonHoldt, Clara Franziska (1729–1783) Äbtissin hin wurde die Klosterkirche 1751 einer gründlichen Erneuerung unterzogen. Harst selbst lässt in seiner Predigt seinen Blick durch das renovierte Kircheninnere schweifen:

Sihe! da erblick ich, nebst andern ohnlängst aufgerichteten vielfältigen Kirchen=Zierden, auch neue Stühl und Bänk zur großen Bequemlichkeit des Volks, um auf und in selbigen Gott besser und länger anbeten zu können; eine neue Canzel, ab welcher das Wort Gottes allen Anwesenden möge geprediget werden; und noch eins! was dann? eine nagelneue schöne und gute Orgel; alles neu![12]

Als Orgelbauer für das neue Instrument hatte man Harsts Freund Johann Andreas Silbermann gewonnen, der den Ablauf seiner dortigen Tätigkeit Tag für Tag festgehalten hat: Am 26. Juli 1751 begann er mit seinem Gesellen in Alspach mit dem Einbau und Intonieren des neuen Instruments. Am 11. August, also genau einen Tag vor dem Festtag der Lb PersonKlara von Assisi (1194–1253) Heiligen Klara, an dem die feierliche Weihe stattfinden sollte, wurde die Orgel fertig. Obwohl ganz zum Schluss noch ein Problem beim Stimmen auftrat,[13] war der Orgelmacher mit dem Ablauf der Arbeit nicht unzufrieden: Also wie ichs zu Hauß überschlagen hatte in 15 Tägen hier fertig worden. Da ich 7 Täg zur Einrichtung und 6 Täg zu Intonnir- und Stimmung gerechnet hatte.[14] Möglich geworden war das nur mit einem langen Arbeitstag, der von den Andachten der Klarissen immer wieder unterbrochen wurde: Wir fiengen an zu arbeiten, morgens um halb meistens aber erst um 6 Uhr. Hielten unter dem Amt oder Meße und unter der Vesper still, und machten abends um 7 Uhr Feyerabend, hatten dabey vielerley Verhinterung.[15]

Für das Vorgängerinstrument hatte sich ebenfalls ein Abnehmer gefunden. Im Le Geographicumg Gebäude: Kaysersberg, Franziskanerkloster Franziskaner-Kloster in Le Geographicumf Ort: Kaysersberg Kaysersberg befand sich ein klein alt Örgelein von 5. Registern[16], das 1734 bei einem Reparaturversuch unspielbar geworden war. Hatte man damals bereits Silbermann zu Hilfe gerufen, erbot er sich nun, die alte Alspacher Orgel gratis[17] zu den Franziskanern zu versetzen:

Als ich mit meinem Lb PersonSilbermann, Johann Daniel (1717–1766) Bruder Daniel die Orgel zu Alspach im Jahr 1751 aufsetzte, so hat die Frau Abtißin den H[errn] P. P. Franciscanern zu Kaysersberg, ihre alte Örgelein geschenket. Ich wurde sowohl von der Frau Abtißin als dem Herrn Pater Quardian von Kaysersberg ersucht, dieses Werkel aufzusetzen. Sie offerirten es gerne zu zahlen, ich versprach es aber ohne Entgeld dahin auf zu setzen, so gut als es sich wird thun lassen.[18]

Um den Transfer des Vorgängerinstruments zum Franziskanerkloster in Kaysersberg kümmerte sich der Orgelbauer im Anschluss an die Orgelweihe. Am 16. August führte man den Transport durch. Bereits am nächsten Tag war der Aufbau abgeschlossen.[19] Dass Silbermann keinen Lohn forderte, relativiert die Klagen über seine hohen Rechnungen. Womöglich spielten persönliche Sympathien eine gewisse Rolle für ihn, denn in Kaysersberg unterhielt er sich nach dem Orgeleinbau in fröhlicher Runde mit den Patres, die ihm eine kuriose Taffel-Musik bereiteten.[20]

Die neue Alspacher Silbermann-Orgel sollte ebenfalls nicht allzu lange an ihrem ursprünglichen Bestimmungsort bleiben. Im Zuge der Klosterauflösungen während der Lm Ereignis1789–1799: Französische Revolution Französischen Revolution wurde das Klarissenkloster in eine Textilfabrik umgewandelt. Von dem Klosterkomplex sind heute nur noch Teile der romanischen Kirchenmauern stehengeblieben.[21] Die Alspacher Orgel erwog der Magistrat von Le Geographicumf Ort: Niedermohrschwihr Niedermorschwihr am 3. September 1792 zu ersteigern. Man entschied sich dann jedoch für die Ld OrgelColmar, Dominikanerkirche, Andreas Silbermann-Orgel 1726 Orgel aus der Dominikanerkirche in Le Geographicumf Ort: Colmar Colmar.[22] Am 18. Oktober 1792 erwarb die Gemeinde Le Geographicumf Ort: Katzenthal Katzenthal die Alspacher Orgel für sich[23] – ein Orgeltransfer, wie er zu Beginn der 1790er-Jahre im Le Geographicumh Territorium: Elsass Elsass recht häufig vorkam.[24] Im Lm Ereignis1939–1945: Zweiter Weltkrieg Zweiten Weltkrieg wurde das Instrument dort zerstört.

Die Orgelpredigt

Harsts Orgelpredigt ist nicht nur als katholischer Beitrag zu dieser Gattung ungewöhnlich. Sie ist auch das Werk eines Geistlichen, der zugleich als professioneller Musiker wirkte und darüber hinaus ein ausgewiesener Experte im Orgelbau war. Diese Kombination findet sich bei protestantischen Predigtautoren nicht. Harsts Korrespondenz mit Silbermann und die zahlreichen bezeugten Kontakte zu anderen Orgelbauern zeigen, dass er in seinem elsässischen Umfeld eine wichtige Instanz war, wenn es um die technische Beurteilung neuer Instrumente ging. Orgel und Orgelmusik waren ein essentieller Bestandteil seines Lebens. Man kann sich daher vorstellen, dass es ihm besonderes Vergnügen bereitete, seine Weihepredigt auszuarbeiten und im Druck vorzulegen. Möglicherweise war es ihm dabei bewusst, dass in Sachsen Lb PersonSilbermann, Gottfried (1683–1753) Gottfried Silbermanns Orgeln Gegenstand mannigfaltiger enkomiastischer Texte wurden.[25] Kurz zuvor hatte überdies Lc PredigtautorFröreissen, Johann Leonhard (1694–1761) Johann Leonhard Fröreissen seine La OrgelpredigtChristliche Predigt (Straßburg 1749) M Orgelpredigt bei der Einweihung der Ld OrgelStraßburg, Temple Neuf, Johann Andreas Silbermann-Orgel 1749 Johann-Andreas-Silbermann-Orgel in der neuen Stadtkirche in Le Geographicumf Ort: Straßburg Straßburg veröffentlicht. Dies mag Harst ermutigt haben, der Orgel des geschätzten Orgelbauers nun seinerseits ein kleines Denkmal zu setzen.

In weit stärkerer Form als sonst üblich wagt es Harst, seine Zuhörerschaft im Hauptteil seiner Predigt mit Sachfragen der Musik zu konfrontieren. Als Fachmann ist er hier spürbar in seinem Element, passt sich zugleich aber auch seinen Rezipienten an, wie es von einem guten Prediger erwartet wurde.[26] Am Beispiel des Alspacher Instruments konnten die Ordensschwestern und ihre Gäste einiges über die Bauweise einer Orgel erfahren: dass der Praestant aus englischem Zinn gefertigt oder der Bourdon mit bleyenen Kächlein gedeckt und dadurch im Ton gedämmt[27] sei. Das Cromhorne wiederum ist ein langes Rohr mit einem messingenen Zünglein (darum nennet man es auch ein Zungenwerk) und klinget dieses Zünglein durch das Rohr gleichsam als durch ein Redhorn in den Ohren der Zuhörer wunderschön.[28] Während das starke Tremblement von einem hölzernen in der Mitten mit Bley beschwertem Deckel gemacht ist, und den Wind stark unterbricht,[29] ist der andere Tremblement […] an einem Drat angehenkt, gehet ganz mäßig und still.[30] Die Klarissen konnten hier, falls sie es noch nicht wussten, lernen, dass die Pedal-Register diejenigen sind, welche man mit Füssen tritt und spielet,[31] und dass unter einem Clavier die Hölzlein, so man mit den Fingern schlägt,[32] zu verstehen sind.

Auch andere musikalische Sachgebiete außer der Instrumentenkunde schneidet Harst an. Die Register Nazard, Tierce und Doublette führen ihn zu Fragen der Intervalllehre. Um den Zuhörern die Quinte, Terz und Oktave zu verdeutlichen, erläutert er akustische Phänomene, die sich empirisch beobachten lassen:

Ein Wunderding! die Quint ist der Fundamental-Stimm also angebohren, daß diese ohne jene fast nimmer klinget, also höret man eine solche Quint nicht allein fast auf allen musicalischen Jnstrumenten, sondern auch an einer kleinen Glocken, wann man sie läutet, klinget allezeit eine Quint oder fünfter Thon mit, ein jeder (auch nicht Musicant) kan hievon selbst die Prob nehmen.[33]

Hierzu führt er sogar die Monochordlehre an: Die Quint ist erfunden worden auf einem einsaitigen Instrument, dahero Monochordium genennt. Wann man diese Saite mit dem Zirkel in 3. gleiche Theile abmißet, so höret man eine reine Quint gegen der ganzen Saite oder Fundamental-Stimme.[34]

Ganz am Ende berührt Harst schließlich das Problem der reinen Stimmung, das ihn – wie wir von Silbermann wissen – sehr interessiert hat.[35] Verbunden mit einer notgedrungen fragmentarischen Einführung ins Tonsystem, ergibt sich hier ein Parforce-Ritt, der letztlich bei der Zahlensymbolik und dem Phänomen einer in der Erdenwirklichkeit nicht zu realisierenden, bei Klara aber vorhandenen idealen Reinheit endet:

In der Music sind sieben Haupt-Thöne: Ut, re, mi, fa, sol, la, si, oder C, D, E, F, G, A, H, welche nach Meynung vieler Philosophen oder Weltweisen von den sieben wohl zusammen klingenden Planeten ihren Klang entlehnet; nebst diesen gibt es noch fünf halbe oder Zwischen-Thöne, und bekommen den Nahmen von ihren Haupt-Thönen, als wie der halbe oder Zwischen-Thon von C, cis, von B, bis, und so weiter. Diese fünf Zwischen-Thöne mit den sieben Haupt-Thönen machen zwölf zusammen: alle diese zwölf müssen auf der Orgel durch ihre erforderliche zwölf Quinten gestimmet werden.[36]

Um die versammelten Zuhörer nicht zu überfordern, verknüpfte Harst seine Ausführungen mit beliebten homiletischen Verfahren. Naheliegend erscheint seine Ausrichtung am Typus der katholischen Heiligenpredigt. Bereits auf dem Titelblatt wird der Zusammenhang mit der Stifterin des Klarissenordens hergestellt, zu deren Ehren die Predigt gehalten wurde. Die Heilige Klara gehörte im Zeitalter des Barock allerdings nicht zu den Heiligen, die eine ausgeprägte Verehrung genossen.[37] Im Gegensatz zu anderen populären Heiligen taucht sie in den großen Predigtsammlungen kaum auf.[38] Eine der wenigen greifbaren deutschen Klara-Predigten des 18. Jahrhunderts stammt aus Le Geographicumf Ort: Regensburg Regensburg. Der Kapuzinerprediger Anton aus Le Geographicumf Ort: Straubing Straubing hielt seine Lr QuellenAntonius, Ein glorreich sich ausbreitend Cherub (1724) M Predigt am Fest der Heiligen im Le Geographicumg Gebäude: Regensburg, Klarissenkloster Regensburger Klarissenkloster. Seine Einleitung macht deutlich, dass es nicht einfach war, für den alljährlich wiederkehrenden Anlass neue Reden zu verfassen. Hatte der Prediger Klara bereits 1723 mit einem Cherub verglichen, so griff er ein Jahr später zur Figur des Seraphs. Dieses Bild, das durch den Vers Tu Cherub extentus & protegens konkretisiert wird, kombiniert er mit inhaltlichen Elementen des Tagesevangeliums (das Gleichnis von den fünf klugen und den fünf törichten Jungfrauen) sowie mit Motiven aus Klaras Biographie. Damit ergibt sich bei ihm eine vergleichbare Verschränkung heterogener inhaltlicher Elemente wie in Harsts Orgelpredigt. Interessant hinsichtlich der Struktur ist außerdem die fünffache, mottoartige Wiederkehr des Prophetenworts, durch die der Aufbau der Predigt kenntlich gemacht wird.[39] In vergleichbarer Weise kehrt auch in Harsts Orgelweihpredigt der ausgewählte Psalmvers Sonet vox tua in auribus meis: vox enim tua dulcis refrainartig zum Beschluss des Exordiums wieder, wird zu Beginn des Hauptteils als inhaltlicher Ausgangspunkt aufgegriffen und setzt später ein wichtiges Signal für das Zum-Ende-Kommen der ganzen Predigt.

Auch andere allgemein gebräuchliche rhetorische Verfahren wendet Harst in seiner Kanzelrede an. Wie Herzog hervorhebt, kommt dabei dem Exordium eine besondere Bedeutung zu, denn es geht zu Beginn darum, mit der Gemeinde Fühlung aufzunehmen: Eingangs ist der Hörer aufmerksam (attentus) zu machen. […] Paradoxien, Rätsel, ein verblüffender Titel und alles, was aufhorchen läßt, mag zur Anwendung kommen, solange die Grenzen der Dezenz nicht übertreten werden.[40] So führt Harst die Gemeinde unauffällig an sein Thema heran, nachdem er das Interesse zunächst durch recht weltliche Gedanken geweckt hat, ähnlich wie ein anderer Prediger des Barock seine Predigten mit einem Spas, Sprüchworte, Weinhauseinfall, oder einer emphatischen und abgebrochenen klausel, welche anfangs gotteslästerlich, unheilig oder närrisch klang, anfieng.[41]

Sobald zwey oder mehrere zusammen kommen, da heißt es nach abgelegter Begrüßung, quid novi? Was gibts Neues? Einer erzehlt dieses, der andere jenes; ein jeder will was wissen, und höret man oft unter so vielen neuen Sachen so viele Lügen, daß einer ein ganzen geleiterten Wagen könnte darmit beladen, welche manchmal auch mit groben Sünden und schweren Ehr=Abschneidungen um und um gespickt seynd, allwo sich der leidige Teufel als ein hurtiger Fuhrmann einstellet, solche schlimme Waaren der Höllen zuzuführen.[42]

Natürlich beeilt sich Harst, diesen wenig christlichen Weg zu verlassen, indem er einlenkt:

Mit solchen gefährlichen Contrebandes will ich heut nichts zu schaffen haben; sondern befrage mich nur um, quid novi? was in diesem löblichen Gotteshaus, in dieser Kirch zu dem Dienst des Allerhöchsten sich Neues befindet? Sie verübeln mir meinen Fürwiz nicht G[eliebte] Z[uhörer] dann sie wissen wohl, daß es im gemeinen Sprichwort heiße: Omnis novitas parit admirationem, die neue Sachen oft Verwunderung machen.[43]

Am rechten Platz im Exordium finden sich eine captatio benevolentiae (Sie verübeln mir meinen Fürwitz nicht), eine direkte Anrede des Publikums, ein Sprichwort sowie ein Lob auf die Äbtissin. Schließlich stellt Harst einen Bezug zum konkreten Raum her, wie es für geladene Prediger empfohlen wurde:

Von auswärtigen, sogenannten Gastpredigern wird oft auch dem Gotteshaus, seiner Schönheit, seiner Altehrwürdigkeit, Reverenz erwiesen. Abraham a Sancta Clara verrät einmal, wie er für eine Gastpredigt am Vorabend die Kirche besuchte, um zu sehen, ob nit etwas darinne seye, welches mir zu meinem Concept möchte dienen.[44]

Den Hauptteil der Harstschen Predigt bildet ein Vergleich der Orgel mit der Heiligen Klara. Allegorische Ausdeutungen der Orgel, bei denen die Bauteile des Instruments gerne mit menschlichen Organen in Analogie gebracht wurden, waren im Barock weit verbreitet. Aber auch in der katholischen Heiligenpredigt war es üblich, die Körperteile eines Heiligen Stück für Stück durchzugehen und so gleichsam eine Anatomie des zu Ehrenden zu liefern.[45] Harst verbindet dieses Verfahren mit allegorischen Deutungen der Orgelregister, wie es auch in lutherischen Orgelpredigten beliebt war. Dabei gelingt es ihm, die wesentlichen Stationen der Heiligenvita einzuflechten.

Während die Orgelallegorie zu dieser Zeit im protestantischen Raum ihre Bedeutung eingebüßt hatte, konnte Harsts Zugang aus katholischer Sicht noch immer Aktualität für sich beanspruchen. In seinen modellhaften Predigtsammlungen bot Lb PersonManzador, Pius (1706–1774) Pius Manzador ausführliche Anleitungen zum Verfassen zeitgemäßer Heiligenpredigten, wobei im Zentrum der Umgang mit Gleichnissen stand. Manzador unterstrich für die Bedeutung dieser Gleichnisse deren narrativen Wert und entwarf – gestützt auf die homiletische Praxis, wie sie gerade in Le Geographicumh Territorium: Italien Italien florierte – eine Poetik des Malerischen und Bildhaften, die durchaus an die klassizistische Ästhetik der Zeit gemahnt. Zugleich riet er den geistlichen Rednern, Themen zu wählen, in denen sie ausreichend Fachwissen besaßen.[46] Dies traf auf Harst zweifellos zu.

Wesentlich für die Anordnung der verschiedenen Gleichnisse war deren Verteilung im Text. Für die Disposition nach einem bestimmten Muster empfahl Manzador unter anderem das anatomische Modell, auf das auch Harst zurückgreift.[47] Er erläutert aber auch andere Möglichkeiten wie beispielsweise das Entfalten einer ganzen Zoographie,[48] die sich analog auf das Instrument der Orgel übertragen lassen. Denn gerade der ungewöhnliche, dem Zuhörer nicht bereits vetraute, ja im ersten Moment paradox wirkende Vergleich galt als besonders wirkungsvoll.[49] Wichtig sei darüber hinaus das Einhalten eines gewissen Maßes. Ein zu stark ins Detail gehender Vergleich wirke geschmacklos.[50] Harst folgt auch dem Verfahren, jedes bildhafte Moment mit einer theologischen Lehre zu kombinieren,[51] gleichzeitig aber aus der Allegorie der Orgel eine übergeordnete Struktur zu gewinnen, die der gesamten Predigt zu einem einheitlichen Guss verhilft:

Doch geschiehet diese Vermehrung einer Gleichnuß durch die Beschreibung und Vertheilung zum besten und zierlichsten, sofern man viele Eigenschaften der Sach, welche in der Gleichnuß das Bild ist, anführet, und durch jede ihrer Eigenschaften eine andere Eigenschaft jener Sache, die in der Gleichnuß abgebildet wird, anzeiget, und vorstellet. Z[um] E[xempel] in dem gemeinen Vergleich eines Heiligen mit dem Adler ist der Adler das Bild, der Heilige der Abgebildete. Je mehr nun Eigenschaften des Adlers mit denen Tugenden des Heiligen, oder deren Uebungen eintreffen, desto vollkommener ist die Gleichnuß.[52]

Im Kontext der katholischen Homiletik seiner Zeit lässt sich Harsts Orgelweihpredigt als ein durchaus geglückter Beitrag zur Gattung Heiligenpredigt bewerten, der gegenüber den lutherischen Orgelpredigten andersartige Akzente setzen kann. Das Bewusstsein, eine originelle und lesenswerte Rede angefertigt zu haben, mag den Autor bestärkt haben, seine Predigt dieses eine Mal der Druckerpresse anzuvertrauen.

Lucinde Braun

Einzelanmerkungen

  1. Seine Lw MusikwerkHarst, Cœlestin: Harst, Pieces de Claveçin M Pieces de Claveçin von 1745 enthalten sechs Suiten, die als ordres bezeichnet sind. Harst ist damit einer der wenigen, der den von Lb PersonCouperin, François (1668–1733) François Couperin geprägten Gattungsbegriff für übernehmenswert hielt. Gleichzeitig orientierte er sich mit seinem virtuosen Stil an Lb PersonRameau, Jean-Philippe (1683–1764) Jean-Philippe Rameaus Clavecinstücken.
  2. Die Briefe sind von Marc Schaefer nicht chronologisch veröffentlicht worden, sondern werden jeweils im Zusammenhang mit den alphabetisch präsentierten Orgelbauprojekten zitiert, so dass sie disparat über das Buch verteilt sind, vgl. Das Silbermann-Archiv (1994), S. 45f., 51f., 54-57, 60f., 79f., 84-86, 90, 92, 94, 100f., 121, 123f., 197, 294, 318, 501, 503f., 509f.
  3. Vgl. zu Geschichte, Disposition und Abbildung Meyer-Siat, Orgeln im Elsass (1983), S. 66f.
  4. Das Silbermann-Archiv (1994), S. 87.
  5. Vgl. Das Silbermann-Archiv (1994), S. 51, 90.
  6. Vgl. Silbermanns Darstellung der komplizierten Affäre, Das Silbermann-Archiv (1994), S. 47–54.
  7. Vgl. Das Silbermann-Archiv (1994), S. 54.
  8. So urteilte Harst über eine unsachgemäße Reparatur der Ehrsteiner Orgel: mithin hab ich ihm kein Hauptfehler können vorwerffen, jedoch den Herren von Ehrstein gesagt, das es kein Silbermännisches Werck seye, mithin könne passable genent werden, nicht aber zum besten. (Das Silbermann-Archiv (1994), S. 45).
  9. Harst berichtete so von den üblichen Einwänden: Zweytens wirfft man gleich vor, Herr Silbermann seye gar theuer, und last vil ehender von einem andern ein Pfuscharbeit machen welches mich selbsten schmertzet. (Das Silbermann-Archiv (1994), S. 45).
  10. Weder bei Pape noch in dem bei Wikipedia verfügbaren Überblick über seine Werke wird sie erwähnt, vgl. Lexikon norddeutscher Orgelbauer 1 (2009), S. 391; https://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Andreas_Silbermann#Werke
  11. Vgl. Le Patrimoine des Communes du Haut-Rhin 1 (1998), S. 675; Grodecki, Guide des sources de l’histoire de l’art (1996), S. 148.
  12. Vgl. Musicalische Orgel= Lob= und Ehren=Predigt (s.l. 1751), S. 4.
  13. Die Fourniture NB mit Mühe gestimbt. Das Silbermann-Archiv (1994), S. 378.
  14. Das Silbermann-Archiv (1994), S. 378.
  15. Das Silbermann-Archiv (1994), S. 378.
  16. Das Silbermann-Archiv (1994), S. 274.
  17. Das Silbermann-Archiv (1994), S. 274.
  18. Das Silbermann-Archiv (1994), S. 80.
  19. Vgl. Das Silbermann-Archiv (1994), S. 80.
  20. Vgl. Das Silbermann-Archiv (1994), S. 80.
  21. Vgl. Le Patrimoine des Communes du Haut-Rhin 1 (1998), S. 675; Grodecki, Guide des sources de l’histoire de l’art (1996), S. 148.
  22. Vgl. Meyer-Siat, Orgeln im Elsass (1983), S. 54, 126.
  23. Vgl. Meyer-Siat, Orgeln im Elsass (1983), S. 54, 64.
  24. Vgl. Meyer-Siat, Orgeln im Elsass (1983), S. 72, 76, 80, 128.
  25. Vgl. die Anthologie Ahrens, Geprießner Silbermann! (2003).
  26. Urs Herzog verwendet für diese Einstellung auf den Rezeptionshorizont der Gemeinde den Terminus der homiletischen Akkomodation, vgl. Herzog, Geistliche Wohlredenheit (1991), S. 252.
  27. Musicalische Orgel= Lob= und Ehren=Predigt (s.l. 1751), S. 6.
  28. Musicalische Orgel= Lob= und Ehren=Predigt (s.l. 1751), S. 11.
  29. Musicalische Orgel= Lob= und Ehren=Predigt (s.l. 1751), S. 12.
  30. Musicalische Orgel= Lob= und Ehren=Predigt (s.l. 1751), S. 13.
  31. Musicalische Orgel= Lob= und Ehren=Predigt (s.l. 1751), S. 12.
  32. Musicalische Orgel= Lob= und Ehren=Predigt (s.l. 1751), S. 5.
  33. Musicalische Orgel= Lob= und Ehren=Predigt (s.l. 1751), S. 6f.
  34. Musicalische Orgel= Lob= und Ehren=Predigt (s.l. 1751), S. 7.
  35. Vgl. Das Silbermann-Archiv (1994), S. 292.
  36. Musicalische Orgel= Lob= und Ehren=Predigt (s.l. 1751), S. 13.
  37. Dies gilt offenbar schon für das Mittelalter. Marina Soriani Innocenti hat für die Zeit bis zum Ende des 15. Jahrhunderts ungefähr 60 lateinische Klara-Predigten eruiert, eine Zahl, die sie gemessen an anderen Heiligenpredigten als gering einstuft, vgl. Innocenti, Chiara di Assissi (1993), S. 361.
  38. Werner Welzig listet in seinem Verzeichnis lediglich eine Klara-Predigt (Wien 1743) auf, vgl. Welzig, Lobrede (1989), S. 671.
  39. Vgl. Antonius, Ein glorreich sich ausbreitend Cherub (1724), S. 7, 9, 23, 40, 43.
  40. Herzog, Geistliche Wohlredenheit (1991), S. 228.
  41. Gerundio Zotes, zitiert nach Herzog, Geistliche Wohlredenheit (1991), S. 228.
  42. Musicalische Orgel= Lob= und Ehren=Predigt (s.l. 1751), S. 3.
  43. Musicalische Orgel= Lob= und Ehren=Predigt (s.l. 1751), S. 3.
  44. Herzog, Geistliche Wohlredenheit (1991), S. 228.
  45. Siehe etwa den Vergleich des Heiligen Martin mit einer gerupften und tranchierten Gans in: Bayerische Barockprediger (1961), S. 65–78.
  46. Vgl. Manzador, Ehren-Reden 1 (1749), )( )( )( )(3 und folgende.
  47. Manzador, Ehren-Reden 1 (1749), )( )( )( )( )(3r.
  48. Manzador, Ehren-Reden 1 (1749), )( )( )( )( )( )(1v.
  49. Manzador, Ehren-Reden 1 (1749), )( )( )( )( )( )(2v.
  50. Manzador, Ehren-Reden 1 (1749), )( )( )( )( )( )(4v.
  51. Manzador, Ehren-Reden 1 (1749), )( )( )( )( )( )( )(1v.
  52. Manzador, Ehren-Reden 1 (1749), )( )( )( )( )( )( )(1v.

Exemplare

Dresden, Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek (D-Dl): Theol.cat.B.633,30

urn:nbn:de:bsz:14-db-id4203174738

Harsts Orgelweihpredigt war lange Zeit nur dem Namen nach bekannt. So schrieb der Historiograph der elsässischen Musik, Martin Vogeleis: Es existiert auch von Harst eine im Druck erschienene Predigt auf das Fest der heiligen Klara, in welcher er das Kloster mit einer Orgel vergleicht.[1] René Kopff erwähnte den Text in seinem Aufsatz über den Musiker in ähnlicher Form: Son originalité est affirmée aussi par un sermon imprimé, sur la fête de Sainte Claire, fait devant ses confrères, et où il compare la vie communautaire de l’abbaye à un orgue avec ses différents registres.[2] Beide haben offensichtlich nur aus zweiter Hand von der Predigt gewusst, denn sonst hätte ihnen bereits ein Blick auf das Titelblatt verdeutlicht, dass hier nicht ein Kloster oder das Klosterleben mit einer Orgel, sondern die Person der Heiligen Klara mit dem Kircheninstrument verglichen wird.

2002 wurde das einzige bekannte Exemplar in der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden entdeckt und bibliographisch erfasst.[3] Der Kasualdruck ist hier unter Varia cath. eingeordnet und besitzt weder einen festen Einband noch irgendwelche Nutzerspuren. Man kann nur mutmaßen, dass er über die familiären Beziehungen der im Le Geographicumh Territorium: Elsass Elsass wie auch in Le Geographicumh Territorium: Sachsen Sachsen tätigen Silbermanns nach Le Geographicumf Ort: Dresden Dresden gelangt ist. Als Überbringer wäre vor allem Lb PersonSilbermann, Johann Daniel (1717–1766) Johann Daniel Silbermann in Betracht zu ziehen, der bei den Arbeiten an der Ld OrgelAlspach, Johann Andreas Silbermann-Orgel 1751 Alspacher Orgel beteiligt war und ein Jahr später in den Betrieb seines Onkels Lb PersonSilbermann, Gottfried (1683–1753) Gottfried Silbermann nach Le Geographicumf Ort: Freiberg Freiberg wechselte.

Das Exemplar liegt mittlerweile digitalisiert vor und dient als Vorlage für die Edition.

Einzelanmerkungen

  1. Vogeleis, Quellen und Bausteine (1911), S. 638.
  2. Kopff, Célestin Harst (1979), S. 84.
  3. Vgl. Braun, Harst (2002).

Portaldaten

Dieser Datensatz ist in folgenden Einträgen des Portals verknüpft:

Letzte Änderung dieses Dokuments am 24. März 2021.

Wenn Ihnen auf dieser Seite ein Fehler oder eine Ungenauigkeit aufgefallen ist, so bitten wir um eine kurze Nachricht an